Sunday, September 7, 2008

Ruinenwelt


Ruinenwelt

Zwischen den Ruinen
geistern fahle Schatten,
wo die Lampen schienen
auf zufriedne Mienen,
die hier Heimat hatten.

Was zur gleichen Stunde
gestern war die Bleibe
froher Tafelrunde,
klafft als offne Wunde
in des Hauses Leibe.

Grausige Kulissen
stehn um Aschengruben,
Vorhänge und Kissen
liegen wirr, zerrissen
in zerstörten Stuben.

An der Mauerstütze
schaukelt wie im Spiele
eine Kindermütze
und zur Regenpfütze
mählich wird die Diele.

Durch die Trümmer schleichen
unbehauste Katzen
über Schutt und Leichen,
und wir alle gleichen
bleichen Grabesfratzen,

die in Furcht und Schrecken
der Vernichtung harren,
sich umsonst verstecken,
stets ihr Sterben schmecken
und ins Leere starren,

schon die eignen Wände
schmählich stürzen sehen
und die Feuerbrände,
drin die Bücherbände
frevelhaft vergehen.

Städte schwinden, Reiche,
die unsterblich schienen,
und der Mond, der gleiche,
starrt auf Kraterteiche,
Wüsten und Ruinen.

(Max Herrmann-Neisse, 1886 – 1941)

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